Merkmale
Der Färber-Waid wird oft auch nur einfach Waid genannt. Dabei muss allerdings bedacht werden, dass im Mittelmeerbereich und im Nahen Osten sehr viele ähnliche Waid-Arten wachsen, die teilweise auch kultiviert werden. Die Pflanze bildet im ersten Jahr eine Blattrosette mit verkehrt-eilanzettlichen Blättern aus. Auffällig ist die helle Mittelader der Blätter. Im zweiten Jahr wächst aus der Rosette ein Stängel, der unten weich behaart ist und sich weiter oben verzweigt. Der Stängel und auch die Ränder der unteren Blätter zeigen bei der alten Pflanze rotviolette Verfärbungen. Die länglichen Stängelblätter im oberen Bereich sind am Grund herzförmig oder pfeilartig, sie umfassen mit ihren Zipfeln den Stängel. Blätter und Stängel erscheinen blaugrün. Zahlreiche vierzählige Blüten bilden eine weit verzweigte Rispe als Blütenstand. Die Blüten enthalten vier kürzere, gelbe Kelchblätter, vier gelbe Kronblätter und sechs nach außen gebogenen Staubblätter, bei denen zwei kürzer sind. Am Grund jedes Staubblattes befindet sich ein Nektarium, dessen Inhalt für den Honigduft der Pflanze verantwortlich ist und Insekten anlockt. Der Fruchtknoten ist oberständig, der Griffel mit seiner kugeligen Narbe ist ebenfalls gelb. Als Früchte entstehen hängende Schließfrüchte mit einem Samen. Die spatelartig-gebogene und abgeflachte Form, sowie der gedrehte Flügelrand ermöglichen Flugausbreitung. Die zuerst grüne Frucht färbt sich bei der Reife rötlich-violett, später wird sie dunkelbraun oder fast schwarz. Jede Frucht enthält einen braunen, länglichen Samen.
Geschichte
Die ursprüngliche Heimat des Färber-Waids liegt im Kaukasus, heute findet man die Pflanze auch in Indien, in Nordafrika und auch wild wachsend in Mitteleuropa, wo der Färber-Waid wahrscheinlich schon seit der Steinzeit bekannt ist. Auch die alten Griechen und Römer gebrauchten den Waid zum Färben, ebenso wie die Gallier und die Germanen. Der deutsche Name ist vom gleichnamigen germanischen Wort waid für „blaue Farbe“ abgeleitet.
Im Mittelalter war der Waid die bedeutendste Färberpflanze überhaupt. Im 13. Jahrhundert entstanden in Thüringen, beispielsweise in Gotha, Erfurt, Langensalza, Tennstedt und Arnstadt, bedeutende Färberzentren für den Waidanbau. Die Stadt Erfurt wurde durch den Waidhandel so reich, dass sie daraus die Mittel zur Gründung der Universität im Jahr 1392 aufbrachte. In den umliegenden, ländlichen Gebieten bauten Kleinbauern Waid an. Waidhändler kauften das pflanzliche Rohmaterial von den Bauern auf den Märkten der Städte und verarbeiteten es zu Farbpulver, welches sie an die Färber weiterverkauften. Die Städte profitierten aus Steuerabgaben. Der in Thüringen produzierte „Waidindigo“ wurde nach Sachsen oder in die Tuchstadt Köln exportiert. Über die Hafenstädte Hamburg, Lübeck und Bremen gelangte er nach Holland und nach England. Vor allem Leinenstoffe wurden mit dem Färber-Waid blau gefärbt. Die besten Sorten stammten allerdings aus der Provence, dem Languedoc und der Normandie.
Mit der Gründung der Ostindischen Handelsgesellschaft im Jahr 1602 durch die Holländer war der Untergang des europäischen Indigos besiegelt: Die holländischen Seefahrer begannen, Indigo aus Indien zu importieren. Die asiatische Indigopflanze zeichnete sich durch eine 30-fach höhere Farbausbeute aus. Dadurch war der Farbstoff preisgünstiger herzustellen. Zur Stützung des einheimischen Waidhandels wurden zunächst Verbote erlassen, die die Einfuhr und die Weiterverarbeitung des indischen Indigos verhindern sollten. In Nürnberg drohte einem Färber sogar die Todesstrafe, wenn er sich nicht daran hielt. Im 17. Jahrhundert – nach einem langen Konkurrenzkampf – setzte sich der indische Indigo aufgrund seines höheren Farbstoffgehalts endgültig durch.
Verwendung
Neben seiner Verwendung als Färberpflanze für Stoffe und Tücher werden die Inhaltsstoffe der Pflanze auch in Holzschutzfarben eingesetzt. In der traditionellen chinesischen Medizin schreibt man den Blättern und Wurzeln Heilwirkungen bei Infektionskrankheiten zu. Banlangen Radix isatidis ist ein altes chinesisches Heilmittel bei Infektionskrankheiten wie Grippe oder Syphilis. Es wird
aus den Wurzeln des Färberwaids und weiterer Pflanzen hergestellt. Es ist nicht ganz ohne Nebenwirkungen und kann auch die Nieren schädigen. Die enthaltenen Senfölglycoside wirken entzündungshemmend, antibakteriell und virustötend, Glucobrassicin wirkt vorbeugend gegen Brustkrebs. Dieses produziert die Pflanze zum Schutz vor Insektenfraß. Im menschlichen Körper eliminiert es Derivate des Hormons Östrogen.
Farbstoff und traditionelle Färbetechnik
In den jungen Waidblättern der Blattrosette befindet sich Isatan B als Indigo-Vorstufe. In den Blättern der zweijährigen Pflanze bildet sich am Rand und an der Blattspitze das rotviolette Indigorot. Diese Blätter sind zum Färben nicht mehr geeignet. Nach dem traditionellen Verfahren, der Fermentation ohne Wasser, werden die Blätter der einjährigen, noch nicht blühenden Pflanze – sobald sie einen leicht bläulich-schimmernden Rand zeigen – eingesammelt und danach sofort abgewaschen, möglichst schnell getrocknet und in Nassmühlen, den „Waidmühlen“, zu einem Brei zermahlen. Das Produkt wird auf Haufen geschichtet, die etwa einen Meter hoch sind. Dann beginnt es darin zu gären. Nach zwei Wochen werden die Haufen vermischt und zu kleinen, runden Ballen, sogenannten „Waidkugeln“ verarbeitet. Die Waidkugeln wurden früher von den Angestellten der Färber, den Waidknechten, mit Urin angefeuchtet und einer erneuten Gärung ausgesetzt. Nach einer Lagerzeit von etwa zwei Jahren kam der vergärte Waid in die Färbehäuser. Dort wurde er nochmals mit Urin und Pottasche bei 60 °C verrührt. Erst nach drei Tagen entstand eine Brühe, die Küpe, welche zum Färben geeignet war. Die Textilien wurden für eine Stunde in die Küpe getaucht. Beim Herausziehen der gefärbten Stoffe waren diese zunächst gelb eingefärbt. Erst an der Luft entwickelte sich auf den Textilien bei der Küpenfärbung durch eine Oxidation die blaue Farbe.
Fermentation in angesäuertem Wasser
Bei der Fermentation im Wasser wird Indigo in mehr oder weniger reiner Form gewonnen. In einem Laborexperiment kann man das in einem kleinen Ansatz demonstrieren: Ein halber Liter Wasser wird in einem Glas mit wenig Essig angesäuert. Die Blätter der einjährigen Blattrosette werden darin bei Zimmertemperatur eingelegt. Ein Verschluss wird nur lose aufgelegt, so dass Gas entweichen kann.
Sobald sich nach maximal 18 Stunden eine grüne Lösung gebildet hat, wird der Gärungsprozess gestoppt. (Ist die Lösung bereits gelb, hat man den Ansatz zu lange gären lassen.) Mit einem Sieb werden die Pflanzenteile herausgenommen. Ein dickes Reagenzglas wird zur Hälfte mit der grünen Lösung gefüllt und mehrfach kräftig bei aufgesetztem Stopfen geschüttelt. Nun gibt man zur grünen Lösung gerade so viel Calciumhydroxid hinzu, bis der Ansatz ins Basische umschlägt. Bei aufgesetztem Stopfen wird kräftig geschüttelt, danach wird der Stopfen wieder entfernt und Luft in das Reagenzglas geblasen. Der Vorgang wird mehrfach wiederholt. Nun lässt man das Reagenzglas ohne Stopfen mehrere Minuten lang in einer Halterung stehen. Dort, wo der Ansatz viel Kontakt mit Luft hat, bildet sich allmählich der blaue Indigo, zum Beispiel im Schaum. Bei der Filtration der Fällung durch ein Filterpapier bleibt darin ein blauer Rückstand zurück.
Vergleich mit anderen Arten
Der Färber-Waid kann mit anderen gelb blühenden Arten aus der Gattung Isatis verwechselt werden. Diese kommen in Mitteleuropa aber nicht wild wachsend vor, daher besteht eine Verwechslungsgefahr nur bei Zuchtformen.
Fotos
Darstellungen in alten Büchern
Die Hausbücher der Mendelschen und Landauerschen Zwölfbrüderstiftungen beschreiben alle wichtigen Handwerksberufe vom 15. bis zum 19. Jahrhundert. Darin enthalten sind mehr als ein Dutzend Darstellungen der Färber und Gerber. Die Abbildung unten zeigt den Färber Hans Schramm im Jahr 1689 beim Blaufärben. Ob er mit dem Indigo aus dem Färberwaid oder mit indischem Indigo färbt, ist nicht mehr bekannt. Er trägt eine mit Krapp gefärbte Schürze. Das Original befindet sich in der Stadtbibliothek im Bildungscampus Nürnberg, es stammt aus dem zweiten Mendelschen Hausbuch, Amb. 317b.2°, Folio 187 verso.
Die in London geborene Zeichnerin und Kupferstecherin Elizabeth Blackwell (1699–1758) gab in den Jahren 1737 und 1739 ein zweibändiges Werk mit handkolorierten Kupferstichen über die Pflanzen heraus. Dieses wurde aufgrund der hohen Qualität unter dem Namen „Blackwellisches Kräuterbuch" weltbekannt. Besonders die Darstellungen der Färberpflanzen haben bis heute überdauert. Ab 1747 folgte eine deutschsprachige Ausgabe in fünf Bänden, zu denen 1773 noch ein Ergänzungsband hinzukam. Das Originalblatt befindet sich im Besitz des Autors, der auch die Reproduktion erstellte.
Der britische Botaniker und Kurator des Botanischen Gartens in Oxford William Baxter (1787–1871) gab zwischen 1834 und 1843 ein botanisches Werk mit dem Titel British Phaenogamous Botany heraus. In den sechs Bänden waren 509 handkolorierte Kupferstiche und die Beschreibungen der Pflanzen enthalten. Die Druckvorlagen erstellten der Glasmaler Isaac Russell und der Zeichner C. Matthews. Die Kolorierungen nahmen Baxters Töchter und Schwiegertöchter vor. Der beiden originalen Kupferstiche befinden sich im Besitz des Autors, der auch die Reproduktionen daraus erstellte.