Biologie der Singvögel
Die Singvögel mit ihren zahlreichen Familien stellen in der Systematik eine Unterordnung der Sperlingsvögel dar. Es gibt weltweit mehrere tausend Arten an Singvögeln. Das Wintergoldhähnchen ist nicht nur der kleinste Singvogel, sondern auch der kleinste Vogel Europas. Der Kolkrabe ist mit bis zu 64cm Körpergröße der größte Vertreter in Europa. Das besondere Kennzeichen der Singvögel ist ihr mehr oder weniger ausgeprägter Gesang. Haussperling und Rabenkrähe werden beispielsweise zu den Singvögeln gezählt, während der Kuckuck der Ordnung Kuckucke angehört.


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Rabenkrähe beim "Krächzen"



Singvögel haben eine Reihe von Körpermerkmalen, die sie den Sperlingsvögeln zuordnen. Beispiele: Die Syrinx (der Stimmapparat der Vögel) ist sehr gut ausgebildet. Außerdem strecken alle Singvögel drei Zehen nach vorne und eine nach hinten. Beim Sitzen auf einem Ast sperrt die Hinterzehe, so dass der Vogel auch im Schlaf nicht herunterfällt. Die Kralle an der Hinterzehe ist die größte der vier Krallen. Der Schnabel ist gleichmäßig hart und läuft vorne spitz zu. Junge Vögel sperren beim Füttern ihre Schnäbel weit auf und zeigen ihre roten oder gelbroten Rachen. Dies löst bei den Eltern einen Futterreflex aus.Singvögel leben in Revieren, deren Besitz untereinander ausgehandelt oder erkämpft wird. Das Besitzrecht auf ein Revier muss laufend neu angemeldet werden. So stellt der wunderschöne Gesang des Amselmännchens eine Art "Verhandlungssprache" dar. Der Gesang wird oft von einer erhöhten Warte aus vorgetragen. Zwischen den Männchen bei vielen Singvogelarten finden regelmäßig richtige "Gesangsduelle" statt. Jungvögel müssen sich ein neues Revier selbst suchen. Dabei finden mit den bisherigen Revierbesitzern Wettgesänge statt. Wird durch das Singen keine Einigung erzielt, kommt es zum Drohverhalten oder im Notfall auch zu einem Kampf. Männliche Rotkehlchen drohen beispielsweise mit ihrer roten Brust.


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Amselmännchen beim Singen



Der Gesang der Singvögel dient auch der Partnersuche. Je größer das Gesangs-Repertoire eines Männchen ist, umso besser kann es sein Revier verteidigen und umso mehr macht es Eindruck bei einem Weibchen. Ein abgesichertes Revier ist für das Weibchen beim Großziehen der Jungen von Bedeutung. Es sind aber nicht nur Gesänge, die die Weibchen während der Balz verlocken, sondern auch das Imponiergehabe der Männchen. Das Männchen des Gartenrotschwanzes sucht sich eine potentielle Baumhöhle als Brutplatz und präsentiert seine weiße Stirn, wenn es hinaus schaut. Es folgt ein demonstrativer Flug, bei dem es seinen orangen Schwanz weit spreizt.
 
Viele Männchen singen auch noch nach der Balz. Der ausdauernde Gesang fördert den Zusammenhalt zwischen Männchen und Weibchen. Die Nachtigall besitzt das größte Gesangsrepertoir aller Singvögel. Sie beherrscht nicht nur bis zu 300 verschiedene Strophen, sie kann sogar lauter und leiser werden, um ihrem Gesang eine besondere Dynamik zu verleihen. Manche Vögel sind sehr ausdauernd beim Singen. Goldammern bringen es auf bis zu 7000 Strophen pro Tag.


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Die Nachtigall ist ein hervorragender Sänger


Neben dem Gesang beherrschen die Singvögel Rufe, die der Kommunikation dienen. Das Krächzen der Raben wäre ein Beispiel dafür. Warnrufe warnen den Rivalen vor einem möglichen Kampf oder die Artgenossen vor einer drohenden Gefahr, Lockrufe oder Flugrufe dienen als Leitsignal beispielsweise für Jungvögel. Während die Gesänge vorzugsweise in den Morgen- oder Abendstunden stattfinden, kann man die Vogelrufe rund um die Uhr vernehmen. Allerdings gibt es auch Singvögel, die nachts singen, wie beispielsweise die Nachtigall.
 
Vögel beherrschen aber auch instrumentale Lautäußerungen. Sie klopfen auf Holz, klappern mit ihren Schnäbeln oder klatschen mit den Flügeln. Auch diese Geräusche besitzen bestimmte Bedeutungen. Manche Singvogelarten können andere Vogelarten nachahmen. So hört man gelegentlich Kleiber, die Grünfinken imitieren. Dadurch wird möglicherweise von dem kleineren Vogel vorgetäuscht, dass man es mit einem größeren und stärkeren Gegner zu tun hat. Regelrechte Meister der Imitation sind die Gelbspötter. Sie beherrschen eine ganze Reihe an Rufen und Gesängen von anderen Vogelarten.
 
Während die Männchen das Revier vor Störenfrieden verteidigen, wenden sich die Weibchen dem Nestbau und der Brutpflege zu. Bei vielen Singvogelarten teilen sich Männchen und Weibchen aber auch diese Aufgabe. Die farbigen Gefiederpartien der Männchen dienen zum Abschrecken von Rivalen oder zum Imponieren bei den Weibchen. Die eher unauffällige Färbung der Weibchen ermöglicht die gute Tarnung des Nests beim Brüten.  


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Goldammer: Männchen Goldammer: Weibchen
 

Im Prachtkleid während der Brutzeit sind viele Männchen stärker und intensiver gefärbt. Das Schlichtkleid außerhalb der Brutzeit ist meistens unscheinbarer. Im Jugendkleid sind die Singvögel gelegentlich schwer zu bestimmen, da sie noch nicht ausgefärbt sind.
 
Manche Singvögel wie die Sumpfmeise oder der Feldsperling sind ausgesprochene Standvögel, die ihr Revier auch im Winter kaum verlassen. Andere ziehen jedoch in ein wärmeres und angenehmeres Winterquartier. Zugvögel wie die Rauchschwalben oder die Neuntöter legen dabei bis zu 8000km Kilometer pro Wegstrecke zurück und ziehen bis nach Südafrika. Die ziehenden Singvögel bilden teilweise riesige Schwärme. So kann ein Bergfinkenschwarm bis zu 2 Millionen Individuen enthalten. Ein Großteil der Singvögel sind Teilzieher. Während nordeuropäische Amseln gerne im Winter ein Stück südlicher fliegen, bleiben die mitteleuropäischen Amseln der Städte auch im Winter in ihrem Revier. Der Vogelzug hängt auch von umweltbedingten Faktoren ab. So fallen die Seidenschwänze alle paar Jahre invasionsartig in Mitteleuropa ein, wenn es in Nordeuropa Ernteausfälle gegeben hat oder wenn das Klima ungünstig war.

 
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Arbeitsblatt Lösungen

 
Singvögel in speziellen Lebensräumen

Die Singvögel der Alpen sind Spezialisten bei der Nahrungssuche und beim Nestbau. Der Fichtenkreuzschnabel kann mit seinem gekreuzten Schnabel die geschlossenen Samenschuppen der Kiefernzapfen öffnen. Der Tannenhäher bevorzugt die Zapfen der Arve. Er legt Wintervorräte am Boden an. Da ein Teil der Vorräte nicht mehr gefunden wird, tragen die Tannenhäher zur natürlichen Aufforstung der Arvenwälder bei.


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Typische Singvögel der Alpen

Alpenbirkenzeisig - Tannenhäher - Ringdrossel - Fichtenkreuzschnabel
Alpenkrähe - Alpendohle - Steinschmätzer - Schneesperling
Bergpieper - Alpenbraunelle - Berglaubsänger - Alpenmeise  
 

Andere Vögel profitieren von feuchten Almwiesen: Die Ringdrossel sucht nach Würmern, der Bergpieper sucht nach Fliegen und Mückenlarven. Die schwer zugänglichen Felsen werden genauso zum Nestbau genutzt wie die gute Tarnung von Bergwäldern. Die Alpendohle baut ihr Nest in Felsspalten und Höhlen, bei der Nahrungssuche profitiert sie vom Tourismus, weil sie gerne bei Berghütten bettelt. Die Alpenmeise bevorzugt Nadelwälder oder Gebüsche an Seeufern und Mooren. Felsen und Steine auf Bergwiesen bieten dem Steinschmätzer oder der Alpenbraunelle ein reichliches Nahrungsangebot an Insekten und Spinnen. Der an rauhes Klima gewöhnte Schneesperling profitiert davon, dass er in Höhenlagen von bis zu 3000 Metern oder mehr nur wenig Konkurrenz durch andere Vögel hat.

Copyright: Thomas Seilnacht